Die Corona-Pandemie stellt das gesamte Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Bernhard Seidenath, Vorsitzender des AK Gesundheit und Pflege, im Interview zu den aktuellen Herausforderungen der Krise, zur Rolle des Landtags und dazu, was Bayern aus der Krise lernen kann.
Gesundheit ist das Wichtigste – privat wie politisch. Nun ist die Gesundheit der Menschen in Bayern massiv bedroht – durch ein Virus, das hochansteckend ist (deutlich ansteckender als andere) und gerade für ältere Menschen und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem auch sehr gefährlich. Es geht um Leben und Tod. Die Bilder, die uns aus Italien oder auch Spanien erreichen, machen uns betroffen. Wir fühlen mit den Menschen in Italien. Unser aller Ziel ist es, dass wir eine derartige Situation in unserem Land vermeiden. Aber so ehrlich müssen auch wir sein: Wir müssen damit rechnen, dass Menschen sterben werden. Wir haben den Höhepunkt noch vor uns, auch wenn sich die Neuerkrankungsrate abschwächt. Gegen das neuartige Virus gibt es (noch) keine Medikamente und keine Impfung. Dennoch - und gerade deshalb! - wollen und müssen wir die betroffenen Patientinnen und Patienten so gut wie möglich behandeln und gleichzeitig die Menschen, die in unserem Gesundheitssystem arbeiten, so gut wie möglich schützen.
Hat sich auch Ihr Tagesablauf in der Katastrophensituation verändert?
Ganz klar ja. Meine Gespräche führe ich – wie aktuell wahrscheinlich fast jeder - vor allem aus dem Home-Office, über Telefon- oder Videokonferenzen. Und ich führe auf den verschiedensten Ebenen Gespräche mit den Vertretern des Gesundheitswesens in Bayern, so etwa mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit Hebammen, Ärzten oder Apothekern. Ich war in den vergangenen Wochen aber sehr intensiv auch mit den Reha-Kliniken und mit unseren so genannten Heilmittelerbringern wie Physiotherapeuten in Kontakt. Bei Letzteren war eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Aber klar ist: Physiotherapeuten und andere Heilmittelerbringer sollen auch weiterhin medizinisch dringend erforderliche Therapien durchführen. Medizinisch dringend erforderlich sind dabei die Maßnahmen, bei denen das Interesse des Patienten an seiner Behandlung höher zu werten ist als das Interesse der Allgemeinheit, dass aktuell möglichst kein Kontakt zwischen Menschen stattfindet. Solche Maßnahmen dulden keinen Aufschub. Bei einer Behandlung sollte zudem ein Risiko für die Therapeutinnen und Therapeuten sowie für die Patientinnen und Patienten so weit wie möglich ausgeschlossen werden, insbesondere durch Schutzkleidung. Darüber hinaus bin ich in diesen Wochen auch als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes meines Heimatlandkreises Dachau mehr gefordert.
Was kann die Legislative in der derzeitigen Lage beitragen?
Sie haben Recht: Eine Katastrophensituation wie diese ist grundsätzlich die Stunde der Exekutive. Die Bayerische Staatsregierung hat in den vergangenen Wochen zupackend gehandelt und strikte, weitreichende Entscheidungen getroffen. Der Landtag kommt ins Spiel, wenn weitere Befugnisse nötig sind. Und hierum geht es etwa beim neuen Bayerischen Infektionsschutzgesetz: die Versorgung mit geeignetem Material und das Lenken von Personal an die richtige Stelle. Die Lage ist ernst, sehr ernst. Es geht nun darum, Leben zu retten. Ich bin froh und dankbar, dass der Landtag das neue Gesetz geschlossen - mit den Stimmen aller sechs Fraktionen - beschlossen hat. Das zeigt: In einer Katastrophe stehen alle zusammen, sind sich einig und ziehen am gleichen Strang in die gleiche Richtung. Alles Sinnvolle und Nötige wird getan, um den Erkrankten zu helfen. Das ist eine außergewöhnliche Reaktion auf diese außergewöhnliche Situation. Und das ist gut so. Gerade dieses Zeichen der Geschlossenheit, dass wir die aktuelle Katastrophe gemeinsam bestehen wollen, ist der Lichtblick in diesen schweren Zeiten.
Was regelt das neue Gesetz?
Den sogenannten Gesundheitsnotstand. Die Staatsregierung kann diesen feststellen, wenn – wie aktuell durch das Corona-Virus - eine übertragbare Krankheit in der bayerischen Bevölkerung so zahlreich oder in so schwerer Ausprägung auftritt bzw. aufzutreten droht, dass dadurch die Versorgungssicherheit durch das öffentliche Gesundheitswesen und die Gesundheit bzw. das Leben einer Vielzahl von Menschen gefährdet sein könnte. Das Gesetz gilt bis Jahresende. Neben der Staatsregierung kann auch der Landtag das Ende des Gesundheitsnotstands feststellen.
Während des Gesundheitsnotstands können die Behörden medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material beschlagnahmen, falls dies erforderlich ist. Für klar definierte Materialien kann ein Verkaufsverbot erlassen werden. Betriebe, die zur Herstellung dieses benötigten Materials in der Lage sind, können angewiesen werden, hiervon vorrangig und umgehend bestimmte Mengen zu produzieren.
Von jedem kann verlangt werden, dass er meldet, wenn er einen Bestand von Materialien besitzt, die zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung notwendig sind und der über den Eigenverbrauch oder den Eigenbedarf hinausgeht. Das gleiche gilt für denjenigen, der zur Herstellung bestimmter Materialien in der Lage ist. Dieser Auskunftsanspruch ist das Neue, ihn gibt es bisher so in unserer Rechtsordnung nicht. Ein Verstoß dagegen ist eine Ordnungswidrigkeit und wird mit Bußgeldern verhängt. Dies alles hat der Landtag im Bewusstsein geregelt, dass kein Arzt, bzw. überhaupt keiner mehr im Gesundheitswesen tätig wird, wenn er nicht die nötige persönliche Schutzausstattung hat: Schutzmasken, Desinfektionsmittel etc. Dieses Material muss dorthin gebracht werden, wo es am dringendsten gebraucht wird.
Neben dem Material geht es uns aber auch um das Personal: Zur Sicherung der Personalkapazitäten können Feuerwehren und freiwillige Hilfsorganisationen während des Gesundheitsnotstands verpflichtet werden, Mitglieder zu benennen, die über medizinische und pflegerische Kenntnisse verfügen. Auch die Bayerische Landesärzte- und die Landeszahnärztekammer können verpflichtet werden, Kontaktdaten, Alter und ärztliche Fachrichtung aktiver bzw. bereits im Ruhestand befindlicher Mitglieder zu übermitteln. Zudem kann im Jeder verpflichtet werden, im Gesundheitsnotstand notwendige Dienst-, Sach- und Werkleistungen zu erbringen.
Gerade das Material, also die Schutzausstattung, scheint gerade der Schwachpunkt zu sein.
Das ist richtig: Hier herrscht aktuell ein eklatanter Mangel. Die Staatsregierung kümmert sich zwar mit Hochdruck um die Versorgung Bayerns mit solchen Artikeln. Sie setzt sich dafür ein, die heimische Produktion dringend benötigter Medizinprodukte schnellstmöglich aufzubauen. Dennoch wird im Moment der Mangel verwaltet. Das Bayerische Innenministerium hat deshalb am 20. März eine Liste herausgegeben, die die Verteilung des Materials an die Beteiligten des Gesundheitswesens nach dem Prinzip des Schutzes so genannter vulnerabler, also verwundbarer Gruppen und der medizinischen Notwendigkeit regelt. Vorrangig bedient werden demnach Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Hospize, Altenheime, ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte und der Öffentliche Gesundheitsdienst. Nachrangig bedacht werden Zahnärztinnen und Zahnärzte, Hebammen, Heilmittelerbringer und Bestatter. Alle Leistungserbringer, die hier als nachrangig aufgeführt werden, erfüllen aber ebenfalls überaus wichtige Funktionen im Gesundheitswesen. Allen Beteiligten kann für ihren großartigen Einsatz für die Menschen in unserem Land - gerade unter den aktuell widrigen Umständen - deshalb nur von Herzen gedankt werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass das neue Gesetz dazu beiträgt, dass alle - auch die Hebammen, die Heilmittelerbringer und die Zahnärzte - mit Schutzkleidung ausgestattet werden können und dass sie weiterhin medizinisch dringend erforderliche Behandlungen vornehmen können.
Die Staatsregierung hat den Pflegekräften in Kliniken, Alten-, Pflege- und Behindertenheimen sowie den Notfallsanitätern und Rettungsassistenten in der jüngsten Kabinettssitzung einen Bonus in Höhe von 500 Euro beschlossen.
Zu Recht! Unsere Pflegekräfte sind physisch wie psychisch stark gefordert. In Pflege- und Behinderteneinrichtungen sowie in ambulanten Pflegediensten leisten sie Enormes bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Dasselbe gilt für Notfallsanitäter und Rettungsassistenten. Sie alle halten die Gesundheitsversorgung am Laufen und sind trotz aller Vorkehrungen bei ihrer Arbeit einem zusätzlichen Infektionsrisiko ausgesetzt. Berechtigte, die regelmäßig mehr als 25 Stunden pro Woche arbeiten, erhalten 500 Euro, Berechtigte, die regelmäßig 25 Stunden pro Woche oder weniger arbeiten, erhalten 300 Euro. Hervorragend wäre, wenn die Vereinigung der Pflegenden in Bayern – eine neue Körperschaft des Öffentlichen Rechts - an der Auszahlung dieser Gelder mitwirken könnte.
Was glauben Sie: Wann wird die Katastrophe überwunden sein?
Das kann im Moment seriös niemand sagen. Das Virus wird seinen Schrecken nach meiner Auffassung erst dann verloren haben, sobald ein wirksames Medikament oder – noch besser – ein Impfstoff zur Verfügung steht. Die gute Nachricht ist, dass daran weltweit mit absolutem Hochdruck geforscht wird. Gleichwohl wird es noch einige Monate dauern, bis es soweit ist.
Lässt sich schon jetzt sagen, ob und was wir aus dieser Pandemie lernen müssen?
Ich meine schon. Wir brauchen strategische Vorräte, um die Gesundheit der Menschen in unserem Land wirksam zu schützen: insbesondere Vorräte an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und Laborausstattungen, um die Beschäftigten in unserem Gesundheitssystem einsatzfähig zu halten. Hier werden wir uns etwas überlegen müssen. Wir müssen insbesondere ein Augenmerk darauf legen, dass diese Materialien wieder im Inland produziert werden, damit wir im Fall des Falles die Produktion auch hochfahren können. Denn wo nichts (mehr) ist, kann leider auch nichts hochgefahren werden. Schon im vergangenen Jahr hat die CSU-Landtagsfraktion gefordert, dass die Produktion von Antibiotika und ihrer wesentlichen Wirkstoffe wieder nach Deutschland oder in benachbarte EU-Länder zurückverlagert werden muss (siehe Drucksache 18/3318). Jetzt zeigt sich, wie wichtig diese Forderung war und ist. Wir MÜSSEN sie nun so rasch wie möglich umsetzen.
Die Pandemie zeigt insgesamt, wie überragend bedeutsam das Thema Gesundheit ist – und dass ohne Gesundheit tatsächlich alles nichts ist. Im Arbeitskreis Gesundheit und Pflege haben wir deshalb auch immer wieder betont, wie wertvoll die Tätigkeit der Beschäftigten in unserem Gesundheitswesen ist und dass diese die größtmögliche Wertschätzung verdient haben. Dies, so meine ich, sieht und fühlt nun jeder.