Ist ein Streaming-Abend daheim auf der Couch inzwischen beliebter als ein Popcorn-Abend im Kino? Welche Auswirkungen hat Video-on-Demand für die Film- und Fernsehbranche und den Medienstandort Bayern? Darüber hat der medienpolitische Sprecher der CSU-Fraktion Alex Dorow beim traditionellen Filmgespräch mit Schauspielerin Lisa Bitter (Tatort-Kommissarin und Hauptdarstellerin in der Serie „Der Beischläfer mit Harry G), Dr. Lisa Giehl von den LEONINE Studios und Philip Pratt von Amazon Studios im Rahmen des Münchner Filmfests im Amerikahaus diskutiert.
Dr. Lisa Giehl ist seit September 2020 führende Spezialistin für den Bereich Filmförderung und Public Policy bei dem unabhängigen Medienunternehmen LEONINE Studios, das alle Arten von Content für die ganze Bandbreite der existierenden Plattformen und Programmanbieter produziert. Die Veränderungen auf dem Markt während Corona hat sie sofort zu spüren bekommen: „Durch Corona wurden bestimmte Entwicklungen beschleunigt. Zahlen aus dem letzten Jahr zeigen, dass sich der Streaming-Markt noch einmal um 30 Prozent erhöht hat“, so Giehl.
Ob der Streaming-Boom sich genauso rasant weiterentwickelt, bewertet Philip Pratt differenziert: „Während Corona mussten viele Menschen zuhause bleiben. Man sieht jetzt aber schon, dass wieder eine Normalisierung eintritt. Die Menschen gehen wieder ins Kino“. Pratt sieht jedoch kein Entweder-Oder: „Menschen werden in Zukunft sowohl mit Freunden und Familie ins Kino gehen, als auch abends vor dem Fernseher streamen“. In Deutschland gebe es noch viel Potenzial im Streaming. War 2014/2015 noch fast ausschließlich amerikanischer Content auf dem Server von Amazon Prime, werde seit 2018 massiv in deutsche Produktionen investiert. „Hier haben wir noch viel Arbeit vor uns und ein enormes Wachstumspotenzial“.
Ein Ende des linearen Fernsehens hält Pratt für unwahrscheinlich. Vielmehr sei eine Unterscheidung zwischen linear oder Streaming gar nicht mehr nötig. Denn auch Streaming-Anbieter übertragen inzwischen linearen Content wie zum Beispiel Fußballspiele. Umgekehrt bauen TV-Sender ihre Streaming-Angebote weiter aus. Es werde immer Formate geben, die der Nutzer live sehen möchte, wie etwa Fußballspiele oder die Berichterstattung bei Wahlen, weil sie in Echtzeit einen Mehrwert haben. Gerade im fiktionalen Bereich möchten Zuschauer aber entscheiden, wo und wann sie den Content abrufen. Giehl ergänzt, dass lineare Fernsehproduktionen beim Nutzer gerade im Zeitalter von Fake News immer noch sehr beliebt seien. Zuschauer suchen verlässliche Quellen und Informationen in öffentlich-rechtlichen Sendungen und im linearen Fernsehen. Viele Nutzer fänden sich in dem großen Angebot der Streaming-Dienstleister zudem nicht zurecht und bevorzugten weiterhin linearen Content.
Auch Schauspielerin Lisa Bitter berichtet aus ihrer Praxiserfahrung eher von einem Nebeneinander anstatt eines Entweder-Oder. Als Tatort-Kommissarin sammelte Bitter einerseits Erfahrungen in einer öffentlich-rechtlichen Fernsehproduktion und machte andererseits als Hauptdarstellerin bei einer Streaming-Serie für Amazon Prime mit. Beim Dreh selbst habe sie keine großen Unterschiede gemerkt. Den einzigen Unterschied spüre Bitter in der Produktionsvorbereitung im Vorfeld. Bei Streaming-Produktionen erlebe sie eine höhere Bereitschaft der Darsteller, sich künstlerisch einzubringen und auf einer dramaturgischen Ebene die einzelnen Szenen mit den künstlerischen Verantwortlichen zu besprechen. Insgesamt habe es bei der Streamingserienproduktion am Set eine höhere Spontaneität gegeben als bei den Dreharbeiten zum Tatort. Dadurch entstehe eine höhere künstlerische Freiheit, Szenen kurzfristig umzustellen, da die Produktionen keinen so langen Vorlauf haben wie Produktionen für das lineare Fernsehen.
In der Frage, ob der Trend eher zu Serien oder zu Filmen gehe, sieht Giehl Serienproduktionen klar vorne. Interessant sei aber, dass der Streaming-Boom nicht zulasten des Kinos gehe, sondern vielmehr zu Lasten von TV-Film-Produktionen. So könne man schon jetzt einen Rückgang von 20 Prozent beim klassischen TV-Fernsehfilm erkennen. Bitter würde sich hier mehr Mut bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wünschen, Stoffe anzugehen, die nicht auf den ersten Blick einen Massenerfolg versprechen.
Dass Streaming und Kino Hand in Hand gehen können, berichtet auch Pratt. Streaming-Anbieter produzieren zum Beispiel auch Filme, die zunächst ausschließlich ins Kino kommen und erst nach einiger Zeit im Streaming-Angebot auftauchen. Die große Herausforderung wird es sein, die Produktionen und Arbeitsplätze, die wir in Deutschland haben, auch in der Heimat zu halten. Hier müssten Anreize wie etwa steuerliche Erleichterungen geschaffen werden, um Deutschland als Produktionsstandort auszubauen. Giehl spricht die Einführung einer Investitionsverpflichtung an, wodurch Streaming-Anbieter sich verpflichten würden, einen gewissen Prozentsatz ihrer Einnahmen im Folgejahr in deutsche Produkte zu investieren. Auch der Rechterückbehalt für Produzenten sei ein wichtiges Thema. Außerdem müssten die Förderinstrumentarien transparenter gestaltet werden, um die deutsche Kreativindustrie noch besser zu unterstützen.
Wie sieht es mit dem Medienstandort Bayern im Speziellen aus? Giehl hält den FilmFernsehFonds Bayern für einen starken Partner für Medienproduktionsfirmen in Bayern, besonders mit der Förderung internationaler Co-Produktionen. Dennoch läge Bayern mit den zur Verfügung stehenden Förderetats nur an dritter Stelle im Vergleich der Bundesländer. Die Produktionsbudgets haben sich enorm erhöht, zum einen aufgrund des Fachkräftemangels und der Inflation, zum anderen aufgrund höherer Gagen, die abgerufen werden. Es sei deshalb umso wichtiger, den Förderetat zu erhöhen. Auch die Besteuerung von (internationalen) Co-Produktionen sei für den Produktionsstandort Bayern ein Thema, bei dem es dringend rechtssichere Lösungen brauche. In einer starken Nachwuchsförderung sieht Bitter einen wichtigen Punkt, um die große Nachfrage nach Produktionen in Bayern auch langfristig abdecken zu können.
In ihrem Statement im Anschluss stellte Digitalministerin Judith Gerlach einen Aufbruch in der Filmbranche nach der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie fest. Mit erheblichem Aufwand sei in Bayern auch unter Corona-Bedingungen eine Fülle an hochwertigem Content produziert worden, der nun auf den Markt komme. Man spüre den Wunsch des Publikums nach Live-Erlebnissen in Präsenz – von persönlichen Begegnungen bei den zahlreichen Veranstaltungen beim Münchner Filmfest bis zum Erlebnis eines Kino-Besuches. Staatsministerin Gerlach dankte der CSU-Fraktion für die Initiative zur Aufstockung der Kino-Programmprämien, für die auch 2022 eine Million Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden, um bayerische Kinos für ihr hervorragendes Programmangebot gerade in der Corona-Pandemie besonders zu unterstützen. Die Ministerin gab zudem einen Ausblick auf die Neuauflage des Bayerischen Fernsehpreises, der Oktober erstmals unter dem Titel „Blauer Panther – TV & Streaming Award” verliehen wird und neben deutschen TV-Produktionen künftig auch deutsche Produktionen von Streaminganbietern sowie Bewegtbildformate für Online-Plattformen berücksichtigen soll.
Das Filmgespräch können Sie sich auf unserem YouTube-Channel in voller Länge ansehen: Zum YouTube-Channel hier klicken.
Zur Bildergalerie hier klicken.
Foto: CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag
PROGRAMM
FILMGESPRÄCH – 10.00 UHR
DISKUSSION MIT
Lisa Bitter
Schauspielerin, Tatort-Kommissarin und Hauptdarstellerin "Der Beischläfer"
Dr. Lisa Giehl
Executive Vice President Subsidies & Public Policy bei den Leonine Studios
Philip Pratt
Head of German Originals bei Amazon Studios
Moderation:
Alex Dorow, MdL
Vorsitzender der Arbeitsgruppe Medien der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag
EMPFANG – AB 11.00 UHR
ERÖFFNUNGSSTATEMENT
Judith Gerlach, MdL
Bayerische Filmministerin und Vorsitzende der CSU-Filmkommission